Alex Ebstein‐Biografie
Wie Alex Ebstein die Konzentrationslager Auschwitz, Sachsenhausen
und Flossenbürg überlebte und zu einem erfüllten Leben fand.
„Und wieder war ich gerettet“
Die jüdische Familie Ebstein wurde Opfer des Holocaust. Eltern und Tochter starben, nur der Sohn Alex überlebte die Konzentrationslager Auschwitz, Sachsenhausen und Flossenbürg. Durch Hilfestellungen, kluge Entscheidungen und Glück konnte er wiederholt feststellen: Und wieder war ich gerettet.
Buchvorstellungen
Buchvorstellung vom 23.9.2019 im Stadtarchiv München
Der Autor Christoph Wilker traf sich fünf Jahre lang zweimal im Monat mit dem Zeitzeugen, der im Konzentrationslager die Zeugen Jehovas kennenlernte, sich diesen 1945 anschloss und zu einem erfüllten Leben fand.
Mannheim 2020
Vorstellung der Alex‐Ebstein‐Biografie Eröffnung der Ausstellung “Verfolgung und Widerstand der Zeugen Jehovas 1933–1945”
Das Buch ist überall im Buchandel
erhältlich, z. B.
über den Autor Christoph Wilker
info@alex-ebstein.deüber den Volk‐Verlag
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Kindle‐Buch
Rezension
Dipl. Ing. Dr. rer. nat. Hans‐Dieter Jacoby — München, Mai 2020
Kann der Mensch aus dem Erleben von extremer Erniedrigung, schlimmstem Terror und realer Todesangst zu einem erfüllten Leben zurückkehren? Glücklicherweise gibt es die vielen Überlebenden, bei denen das der Fall war und die trotz traumatischer Erinnerungen zu einer mehr oder weniger intakten Normalität zurückgefunden haben. Ein Beispiel dafür ist Alex Ebstein. Die Veröffentlichung seiner von Christoph Wilker verfassten Biographie „Und wieder war ich gerettet“ konnte er leider nicht mehr erleben.
Der Bericht über Alex Ebsteins traumatischen Erlebnisse als Jude in den Konzentrationslagern Auschwitz, Sachsenhausen und Flossenbürg mag auch die Leser ansprechen, die mehr als eine Generation von dieser Zeit entfernt sind; denn hier wird der Alltag in den Höllen der Lager und auf den Todesmärschen konkret nachvollziehbar. Auch wenn wir uns in das Empfinden eines Kindes und des dann Jugendlichen unter einer so schrecklichen Behandlung kaum noch hineinversetzen können, so wird uns doch damit wieder die unbeschreibliche Brutalität dieses Regimes bewusst. Leider können nur noch ganz wenige Zeugen ihren Lebensbericht weitergeben; umso wichtiger ist jede derartige Veröffentlichung.
Der Autor Wilker hat mit Alex Ebstein über lange Zeit in freundschaftlichem Rahmen viele Gespräche geführt. Die vorliegende Biografie ist ein Ergebnis dieser intensiven Diskussionen. Sie spürt dem Facettenreichen und vielschichtigen Lebenslauf dieses deutschen Juden liberaler Prägung und späteren Zeugen Jehovas von Anfang bis Ende nach, von seinem Breslauer Elternhaus bis zu seinem letzten Lebenstag in München. Seine 88 Lebensjahre umfassten die zwölf Jahre der Schreckensherrschaft der Nazi‐Diktatur (1933–1945). Der Autor widmet der detaillierten Beschreibung dieser Gräuelerlebnisse etwa die Hälfte des Buches. Auf einige der Leidensstationen soll hier eingegangen werden.
Die Judenverfolgung war für die Familie des jungen Alex, zumindest in seiner Erinnerung einer unbeschwerten Kindheit, anfangs noch nicht so deutlich zu spüren. Von 1938 an war jedoch auch die Familie Ebstein von den brutalen Maßnahmen der menschenverachtenden Entrechtung und Misshandlung betroffen: Der florierende väterliche Betrieb wurde, mit entsprechenden finanziellen Folgen, enteignet; öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen oder Rad zu fahren, ins Lokal gehen, einen Anwalt zu konsultieren wurde ihnen verboten; sie wurden als Mörder und Kinderschänder beschimpft; in den Pass wurde der Judenstempel eingetragen und vieles mehr.
Am 9. November 1938, in der Reichspogromnacht, brennen in Deutschland fast alle Synagogen, auch die in Breslau, in der Alex im Alter von 12 Jahren die Bar‐Mizwa zugesprochen worden war. Die jüdische Schule wird geschlossen, und Alex wird als 15jähriger als Hilfsarbeiter in einer Schreinerei ausgebeutet. Aber es kommt für die Familie alles noch viel schlimmer. Ende dieses Jahres wird Alex’ 21jährige Schwester von der Gestapo abgeholt und kommt nicht wieder, ein sicheres Indiz, dass sie exekutiert wurde. Erst 2015 erhält Alex die Information, dass sie in Lettland umgebracht worden ist. Am 5. März 1943 wird die Familie ins Konzentrationslager Auschwitz verbracht. Die Mutter Rahel wird dort sogleich vergast.
Alex und sein Vater werden als arbeitsfähig eingestuft und kommen in das riesige Arbeitslager Auschwitz‐Monowitz. Die brutalen Anforderungen schwächen den Vater so, dass er als Arbeitsunfähiger vergast wird. Alex hat mehr Glück. Er wird schließlich in einem Elektromagazin mit leichteren Aufgaben betraut. Ihm bleiben weder Kraft noch Zeit, um über die Tragweite der Ermordung der Familienangehörigen zu reflektieren. Zu sehr muss er um sein eigenes Leben kämpfen. Und immer wieder gelingt es ihm durch genaue Beobachtungen und kluge Entscheidungen, dem Schicksal seiner Eltern und seiner Schwester zu entkommen – und natürlich mit viel Glück; denn: „Wer Auschwitz überlebte, hat es nur durch Wunder überlebt“, sagt der jüdische Auschwitz Überlebende Noah Klieger. Das gilt auch für den Bericht über die wenigen noch verbleibenden Monate bis zur Befreiung, der aber auch an Schrecklichkeit kaum zu überbieten ist.
Von Auschwitz geht es 50 km zu Fuß nach Gleiwitz, dann mit dem Zug nach Mauthausen, wo das Lager überfüllt ist, dann für nur wenige Tage ins KZ Sachsenhausen und schließlich in das Konzentrationslager Flossenbürg. Auf den Zugfahrten stehen die Häftlinge mehrere Tage ohne Essen dicht gedrängt zwischen den Leichen, deren man sich nicht entledigen darf. In den Lagern herrschen katastrophale Zustände, Vernichtung durch Arbeit und Mangelernährung ist hier das menschenverachtende Ziel, etwa durch mörderische Zwangsarbeit im Steinbruch. Da Alex in der Weberei eingesetzt wird, kann er sagen: „Und wieder war ich gerettet“. Die Fußmärsche waren Todesmärsche. Die Straßen waren übersät mit Leichen von geschwächten Häftlingen, die von der SS erschossen worden waren – selbst bei dem letzten Marsch aus Flossenbürg, nur wenige Stunden vor der Befreiung durch die Amerikaner.
Welche Gefühle mag ein Mensch haben, der diese Hölle überlebt hat? Wie mag es einem Menschen jüdischer Herkunft gehen, der die Vernichtung seiner Familie, seiner Verwandten und so vieler seiner jüdischen Brüder und Schwestern hat erleben müssen? Kein Gefühl der Revanche, der Rache oder Bitterkeit hat Alex Ebstein in seine Berichte gegenüber dem Autor einfließen lassen. Das Buch lässt auch offen, ob die spätere Zuwendung zu einer christlichen Glaubensgemeinschaft hierbei einen Einfluss hatte oder nicht. Der Autor bleibt bei der neutralen sachlichen Schilderung der unsäglichen Gräueltaten der Nazischergen. Der gut lesbare Text wird bereichert durch viele authentische Dokumente: Fotos, Gefangenenlisten, Plänen von Konzentrationslagern, oder etwa durch das Unikat der Transportnummer 507 bei der Deportation von Alex Ebstein vom KZ Sachsenhausen ins KZ Flossenbürg. Der Autor hat auch eine Vielzahl von wertvollen Anmerkungen und Hinweisen in Fußnoten zusammengetragen. Wo möglich, ist das Internet als Quelle angeführt, was den Zugang entsprechend erleichtert.
Diese zusätzlichen Erklärungen nehmen auch einen wichtigen Platz im zweiten Teil des Buches über Alex Ebstein ein: über sein Leben als Zeuge Jehovas. Noch während der Haft in Flossenbürg lernt Alex Daniel Budakowsky, einen Zeugen Jehovas, kennen. Alex interessiert sich für diese Glaubensgemeinschaft, weil er – wie er damals selbst sagt – von ihrem Ruf in den KZ beeindruckt ist. Zahlreiche Dokumente und Erinnerungen belegen den Mut der Zeugen Jehovas gegenüber der SS und ihre Hilfsbereitschaft gegenüber ihren Mithäftlingen. Alex lässt sich im August 1945 als Mitglied dieser Gemeinde taufen, und hinfort wird sein religiöses Engagement ein wichtiger Lebensinhalt. Auch seine zukünftige Ehefrau Luise, deren Familie selbst vom Naziregime verfolgt worden war, lernt er schon bald als eine mutige Zeugin kennen. 1947 heiratet das Paar, dem im Folgejahr der Sohn Werner und zwei Jahre später die Tochter Ruth geboren wird. Die vier Ebsteins verleben eine glückliche Zeit, das Familienleben ist für das Ehepaar wichtig. Das bleibt auch so, nachdem die Kinder flügge geworden sind – bis zum Tod von Luise im Jahr 2006. Die meiste Zeit seines Berufslebens arbeitet Alex Ebstein bei der Bayerischen Vereinsbank als Anlageberater.
Das Buch gibt an seinem Beispiel auch einen Einblick in das Gemeindeleben der Zeugen, ohne religiöse Inhalte zu berühren. Neben Missionstätigkeit und lokalen Gottesdiensten sind die großen Kongresse der Glaubensgemeinschaft immer wieder ein Höhepunkt, so etwa der im Jahr 1946 auf der Zeppelinwiese in Nürnberg, auf der Hitler einst seine Reichsparteitage abgehalten hatte.
In den ersten Nachkriegsjahren war der Aufarbeitung der Verfolgung wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden. Das änderte sich erst in den 1990er Jahren, ganz besonders im Hinblick auf die zuvor „vergessenen Opfer“ des Nationalsozialismus. Auch die Zeugen Jehovas veranstalteten Wanderausstellungen und Gedenkveranstaltungen, bei denen auch Alex Ebstein als Zeitzeuge auftrat. 2003 enthüllte er eine Gedenktafel in der KZ‐Gedenkstätte Dachau mit der Inschrift „In Memoriam – Zeugen Jehovas litten und starben hier“.
Am Ende des Buches finden wir noch einen Rückblick, und es werden die Verwandten väterlicherseits vorgestellt, von denen viele von den Nazis umgebracht wurden. Wir finden auch kurze Anmerkungen über die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung in Europa sowie die der Zeugen Jehovas und über die Haltung der Zeugen Jehovas gegenüber den Juden in dieser Zeit. Der Anhang enthält weiterhin Presseartikel und Bilder von Gedenkstätten sowie auch Abbildungen einiger Gemälde von Alex Ebstein selbst.
Die thematische statt chronologische Aufteilung im letzten Drittel des Buches nach unterschiedlichen Gesichtspunkten entbehrt nicht einer gewissen Logik; jedoch wäre vielleicht eine etwas kompaktere Darstellung vorzuziehen. Die Fußnoten sind in einer recht kleinen Schrift gesetzt und daher für manche etwas schwieriger zu lesen.
„Und wieder war ich gerettet“ ist ein lesenswertes Buch und ein weiterer wichtiger Beitrag zu den historischen Dokumenten, die die Brutalität und die abscheuliche Menschenverachtung der NS‐Diktatur aus der Sicht eines Betroffenen beschreiben. Der Forschung wird damit eine neue Quelle zur Verfügung gestellt. Der Leser wird besonders schätzen, dass er keine Ressentiments, keine Bitterkeit und auch keine Forderungen an die Heutigen finden wird. Und er wird beeindruckt sein, wie ein Mensch aus schier unfassbaren Erlebnissen zu einem erfüllten Leben finden kann – wie leider nicht alle, aber doch viele andere auch.
